PARITÄTISCHER SH warnt: Fachkräftemangel in der Eingliederungshilfe – Vielen Wohnangeboten für Menschen mit Behinderung droht das Aus
Der Fachkräftemangel ist ein präsentes Thema in Medien und Politik. In nahezu jeder Branche werden Fachkräfte gesucht, vakante Stellen bleiben unbesetzt. Der Bereich der Eingliederungshilfe wird hierbei allerdings häufig außer Acht gelassen.
Der Kurzbericht des deutschen Wirtschaftsinstitutes vom 12.08.2022 zeigt, dass die größten Fachkräftelücken im Sozialen bzw. im Gesundheitssektor verortet sind. So ist aktuell die Berufsgruppe der Sozialarbeit und Sozialpädagogik auf Platz 1, gefolgt von Erzieher*innen auf Platz 2, Altenpfleger*innen auf Platz 3 und Gesundheits- und Krankenpfleger*innen auf Platz 5.
„Bedenkt man, dass gerade in besonderen Wohnformen und Hauswohngemeinschaften, in denen Menschen mit Beeinträchtigungen leben, das Erbringen der Assistenzleistungen in der Regel durch ein multiprofessionelles Team erfolgt, das aus den oben benannten Berufsgruppen besteht, zeichnet dies ein düsteres Bild für die Eingliederungshilfe.“ sagt Michael Saitner, Vorstand des PARITÄTISCHEN SH.
Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Arbeitsbedingungen in der Behindertenhilfe deutlich verschlechtern, wie eine Studie der TU Darmstadt aus dem Jahr 2021 zeigt. Oft sind Arbeitszeiten gerade in Wohnangeboten entgrenzt, auch das Arbeiten in geteilten Diensten ist oft gang und gäbe. Menschen mit Beeinträchtigung gehen häufig einer Tätigkeit in einem zweiten Lebensbereich nach, wie z.B. einer Beschäftigung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Assistenzleistungen werden daher am Morgen, am Abend, am Wochenende, bei Krankheit und im Urlaub benötigt und dementsprechend erfolgt der Personaleinsatz – Arbeitszeiten, die für viele Arbeitnehmer*innen unattraktiv sind.
Auf dieses angespannte System treffen die Coronapandemie, die einrichtungsbezogene Impflicht und, neben allen bekannten negativen Auswirkungen, zusätzlich deren jeweilige bürokratischen Umsetzungsbestimmungen; Auflagen, die denen in der Pflege in großen Teilen gleichen. Leider finden Bereiche der Eingliederungshilfe bei der Schaffung von Entlastungsleistungen nur wenig bis keine Berücksichtigung.
„Wir begrüßen, dass die Politik die dringend benötigten Anreize und Entlastungsleistungen im Pflegebereich schafft, um den aktuellen Herausforderungen entgegenzuwirken. Nichtsdestotrotz müssen aber auch Anreize in vergleichbaren Strukturen mit vergleichbaren Auflagen geschaffen werden. Es sind heute bereits – gerade in Wohnangeboten für Menschen mit einem komplexen Assistenzbedarf – erste Tendenzen der Abwanderungen von Fachkräften aus der Eingliederungshilfe in Pflege oder KiTa zu spüren. Die Folgen sind, dass bereits jetzt kleinere quartiersnahe Wohnangebote aus unserer Mitgliedschaft nicht mehr wissen, wie sie einen verbindlichen Dienstplan sicherstellen und aufrechterhalten können.“ so Michael Saitner. „Vor diesem Hintergrund sehen wir mit Sorge in die Zukunft, da sich mit dem BTHG die Situation für Menschen mit Beeinträchtigung, mit dem Ziel einer selbstbestimmten, gleichberechtigten und wirksamen Teilhabe an der Gesellschaft, eigentlich verbessern sollte.“
Der PARITÄTISCHE SH fordert daher eine Ausbildungsoffensive für Heilerziehungspfleger*innen, indem deren Ausbildung in ein praxisintegriertes System mit entsprechender Entlohnung überführt wird, eine Anpassung des Personalschlüssels sowie Entlastungsleistungen und regelhafte Erschwerniszulagen für bestimmte Tätigkeiten in der Eingliederungshilfe.